50 Jahre „of Silverdale“
Wie alles begann
Die Windhundbiografie des Whippetzwingers „of Silverdale“ begann mit Meike Röder-Thiede, die 1963 als junge Studentin der Veterinärmedizin die Hündin Greenbrae Mignonette aus England mitgebracht hat.
Mit dieser Hündin besuchte sie ein Training des Rennvereins in München. Die whippettypische Begeisterung des Hundes im Training war der initiale Ausgangspunkt des künftigen Geschehens. Schon ein Jahr später erwarb Meike Tira of Greyishblue Sweeper aus einer kleinen aber sehr angesehenen Salzburger Zucht. Mit Tira errang Meike Röder-Thiede den damals begehrtesten Titel, das UCIL-Championat für Schönheit und Rennleistung.
„of Silverdale“
Ihr späterer Ehemann Werner Röder teilte mit Meike die Leidenschaft für Windhunde. Zusammen mit der Freude an Rennen und Ausstellungen kam bei beiden der Wunsch auf, selbst zu Züchten. Der Zwinger wurde unter dem Namen of Silverdale eingetragen, ein englischer Zwingername für eine englische Rasse.
1970 startete of Silverdale mit seinem A-Wurf, im Laufe der folgenden acht Jahre folgten fünf weitere Whippetwürfe. Amulett aus dem ersten Wurf wurde unter anderem UICL-Rennsiegerin, Barley of Silverdale aus dem B-Wurf war von 1974 – 1976 der erfolgreichste Whippet überhaupt auf den europäischen Bahnen. Die anderen of Silverdale Hunde hatten internationale und deutsche Championate, VDH- und Landessiegertitel und zudem viele Preise auf diversen Rennen gesammelt.
Der Anfang
Dr. phil. Werner Röder engagierte sich als UICL-Schiedsrichter und war von 1973-1978 Vorsitzender des WRV Bayern. Meike Röder-Thiede war 15 Jahre lang Zuchtwart in ihrer Landesgruppe.
Die zunehmenden beruflichen Herausforderungen des jungen Ehepaars machten es erforderlich, sich im Hobby auf wichtige Schwerpunkte zu konzentrieren, wobei ihr persönliches Engagement deutlich über das Maß eines kleinen Hobbies hinaus ging.
Um das wirklich außerordentliche Engagement verstehen zu können, muss man einen kleinen historischen Rückblick machen.
In den siebziger Jahren waren Azawakhs noch nicht als eigenständige Rasse anerkannt, ja sie waren sogar weitestgehend unbekannt. Die wenigen Exemplare wurden unter dem Begriff „jugoslawische Sloughis“ in den Zuchtbüchern der Sloughis geführt, damals zählten die Nomadenwindhunde aus dem Sahel noch zu den Nordafrikanern.
1974 trafen Meike und Werner Röder auf der UICL-Zuchtschau Vesna Secalec und Ihren Azawakh. Dieses Treffen sollte das Ehepaar Röder nicht mehr loslassen. Der Azawakh erschien ihnen spontan als die ästhetische Verkörperung des Windhundes schlechthin. Die Vorstellung, dass diese Geschöpfe zu den letzten Lebenden ihrer Art gehören könnten, empfanden sie als eine kynologische Verpflichtung und Herausforderung, die ein Wendepunkt in Ihrem Leben sein sollte.
Der eigene Azawakh-Zwinger
Um diesen Geschöpfen als Rasse eine Zukunft zu bieten war schnell der Entschluss gefasst, selber Azawakhs zu züchten.
Hermann Bürk, der spätere Zuchtleiter des DWZRV, übernahm aus der Zucht von Vesna Secalec die Hündin Bahra al Sahra (Tani). Tanis 1980 geborene Tochter Chadin begründetet 1983 mit dem F-Wurf als Stammmutter die Azawakhgeschichte des Zwingers of Silverdale.
Zu Chadins bekanntesten Nachkommen gehörten Fatma, Dt. Schönheits- und VDH-Champion, Bundessieger 1986, und Gao of Silverdale, der erste Azawakh-Champion für Schönheit und Rennleistung.
Der Azawakh
Über die Schönheit der Rasse Azawakh muss man nicht streiten: die einen sehen in ihr die Windhundästhetik schlechthin, andere mögen sie als fremd und hager abtun. Wahre Kenner aber schauen erst in zweiter Linie auf die Ästhetik, wenn es darum geht, mit Hunden dauerhaft zusammen leben zu wollen. Für sie ist vielmehr ihr inneres Wesen, ihre Persönlichkeit, ihre Seele ausschlaggebend.
Der einzelne Azawakh ist das Produkt unterschiedlich mitgebrachter Anlagen sowie der Kenntnisse und Fähigkeiten, der Sorgfalt und Zuwendung von Seiten der Züchter und Besitzer. Gerade diese Züchter und späteren Besitzer stehen vor der Herausforderung, der Persönlichkeit eines Azawakhs die eigenen Wünsche und Regeln des Zusammenlebens verständlich zu machen. Und das auf eine Art, die der Azawakh aufgrund seines Wesens und seiner Veranlagung akzeptieren kann.
Der Azawakh verfügt, soweit er dies durch jahrzehntelanger Engzucht nicht schon eingebüßt hat, über ungewöhnlich viele überraschende Eigenschaften, die der Mensch durch beiderseitiges Lernen und Verstehen in dieser oder jener Richtung ausgestalten kann. Zu einer verantwortungsbewussten Zucht gehört es deshalb, den Nachwuchs ab frühestem Welpenalter in der Familie, in der Azawakhgruppe, in Haus und Garten, im Kontakt mit neuen Menschen und der Umwelt an ein artgerechtes, aber mit der europäischen Zivilisation zu vereinbarendes Sozialverhalten heranzuführen.
Diese oftmals herausfordernde Aufgabe gehörte von Anbeginn an zu den Schwerpunkten und intensiven Bemühen der Silverdale-Zucht, wobei die Welpen und deren Besitzer gleichermaßen im Fokus standen.
Expeditionen
Um die Rasse wirklich in ihren Ursprüngen kennen zu lernen, wollte sich das Ehepaar Röder allerdings nicht auf ein Wissen aus zweiter Hand verlassen.
Dr. phil. Röder nahm daher seit Mitte der 80iger Jahre auf den vermuteten Spuren der Tuareg-Windhunde an mehreren Offroadreisen durch die Sahara- und Sahelländer teil. 1992 organisierte er auf der Grundlage dieser Erfahrungen die erste gezielte und deshalb dann auch sehr erfolgreiche Azawakh-Expedition mit Hundefreunden aus Deutschland, Mexiko und den USA.
Die Gründung der Association Burkinabe Idi du Sahel (A.B.I.S.) und 18 weiteren Expeditionen in die abgelegenen Azawakh-Habitate von Burkina Faso, Mali und Niger folgten. A.B.I.S wurde zu einer kleinen aber regsamen Hilfsorganisation für Menschen und Hunde; sie hat unter anderem erreicht, dass durch ihre jährliche Schutzimpfung von nahezu jährlich fünfhundert Nomadenwindhunden ein ganzer Sahelbezirk mittlerweile tollwutfrei wurde.
Rettung der Population in Europa
Mehr und mehr wurde mit dem Fortschreiten der Zucht in Europa deutlich, dass die hiesige Azawakhpopulation, die aus etwa einem Dutzend Importen der 70iger Jahre entstanden war, auf einer viel zu engen genetischen Basis vom Niedergang bedroht sein würde.
Die zunehmende Verarmung der genetischen Bandbreite führte sichtbar zur extremen phänotypischen Stilisierung und zu Verhaltensauffälligkeiten. Erblich bedingte Gesundheitsschäden waren vorhersehbar.
Aus diesen Gründen, wenn auch schweren Herzens, hatte sich Familie Röder von ihrem ursprünglichen Idealbild – der leider ebenfalls sehr eng gezüchteten „Jugoslawischen Linie“ – getrennt.
1993 hatte Dr. phil. Werner Röder die Hündin Taikoussou aus Afrika mitgebracht, die 1995 mit dem I-Wurf of Silverdale die Vorstellung der schrittweisen Erweiterung des genetischen Bestands durch Outcrossing mit Azawakhs aus der Herkunftsregion in Afrika erstmals verwirklichte. 1997 und 2000 fielen die J- und K- Würfe mit Ch. We Wille Cashra, der in Mexico geborenen Tochter von Abarut ak Intangoum, Import der ersten Azawakh-Expedition, Weltjugendsieger und Multichampion.
Im Jahr 2000 erweiterte Meike Röder Thiede die Zwingergemeinschaft und Elisabeth Naumann stieg mit in die Zucht ein. Es folgten zwischen 2002 und 2007 drei Würfe, darunter der sehr erfolgreiche M-Wurf, der mehrfache Champions im Bereich der Ausstellung, sowie Rennen und Coursing hervorbrachte.
Schicksalsschläge
2008 verstarb überraschend die Tierärztin Meike Röder–Thiede im Alter von 68 Jahren.
Nach ihrem Tod heiratete Dr. phil. Werner Röder Elisabeth Naumann, beide führten mit den O, P- und Q-Würfen die Geschichte des Zwingers of Silverdale weiter.
Leider zwangen gesundheitliche Probleme Dr. phil. Werner Röder immer mehr dazu, sich aus dem aktiven Zuchtgeschehen zurück zu ziehen. Zur Unterstützung und sicheren Weiterführung von of Silverdale bat mich (Helene Peither) Dr. phil. Werner Röder im Jahr 2015 in die Zwingergemeinschaft einzutreten.
2016 verstarb mit 78 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit Dr. phil. Werner Röder. Er hatte an der Ludwig-Maximillans-Universität München und der Southeast Missouri State University in Cape Giardeau studiert und war bis zu seiner Pensionierung langjähriger Archivleiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Dieses weltweit angesehene Institut hat er aufgebaut.
Zudem wurde er als Teilnehmer, Redner und wissenschaftlicher Beirat zu diversen kynologischen Kongressen – vom Kaukasus bis in die USA- geladen.
Über die Zucht hinaus
Meike und Werner Röder teilten nicht nur die Liebe zum Tier, sondern auch die gemeinsame Leidenschaft zur Kunst und Literatur. Der Zwinger of Silverdale beherbergt daher eine reichhaltige Kunstsammlung, ein sehr umfangreiches literarisches und ein wertvolles kynologisches Archiv. Es umfasst u.a. alle Zuchtbücher des DWZRV, eine umfangreiche Buchsammlung über Windhunde, eigene Aufzeichnungen über die durchgeführten Exeditionen, das in Afrika vorgefundene Umfeld der Hunde und natürlich über die Azawakhs in Afrika selber. Bei den persönlichen Aufzeichnungen kam Werner Röder seine Ausbildung und Berufserfahrung als Archivar zu gute. Er führte seine Tagebücher, unzählige Fotos und Inventare akribisch, strukturiert und professionell.
Für Elisabeth Naumann und mich ist es eine große Ehre und Verantwortung, das einzigartige Lebenswerk von Werner und Meike Röder in ihrem Sinne fort zu führen.
Dazu gehört nicht nur der Zwinger of Silverdale, der 2017 von München nach Berlin umgezogen ist. Der of Silverdale R-Wurf wurde in der neuen Zuchtstätte geboren, im November diesen Jahres wird der S-Wurf erwartet. Die Auswahl der Elterntiere, die Aufzucht der Welpen und deren Integration bei den neuen Besitzern orientiert sich dabei an den kynologisch so vorausschauenden Gründern des Zwingers. Das weitergegebene Wissen und die Erfahrungen des Ehepaars Röder geben dabei den Mut, den eingeschlagenen Weg den Azawakh of Silverdale weiterzugehen.
Dabei stellt of Silverdale nur einen Teil des Erbes der Familie Röder dar. Genauso viel Aufmerksamkeit verlangt die Verwaltung der Kunstsammlung und des kynologischen Archivs. Insbesondere die Kunstsammlung hatte schon zu Lebzeiten der Familie Röder international für Beachtung gesorgt. So ist es nicht verwunderlich, dass weitere Windhundfreunde, Züchter und Künstler ihre Werke dem Zwinger zur Verfügung stellen, verbunden mit der Hoffnung, dass hier eine einmalige, große Sammlung entsteht, die später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte.
Helene Peither
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